
Die Studie beleuchtet die „Arisierung“ des Warenhauskonzerns Hermann Tietz zur NS-Zeit und die Rolle von Georg Karg, dem späteren Geschäftsführer der Warenhauskette Hertie und Initiator der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung.
Mit dem Buch “Verfolgt, ‚arisiert‘, wiedergutgemacht? Wie aus dem Warenhauskonzern Hermann Tietz Hertie wurde“, haben die Professoren Johannes Bähr und Ingo Köhler von der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) eine wissenschaftlich-historische Untersuchung zur „Arisierung” des Warenhauskonzerns Hermann Tietz in der NS-Zeit und zum sogenannten Wiedergutmachungsprozess in den Nachkriegsjahren vorgelegt. Als „Arisierung“ bezeichnen Forschende die Verdrängung von jüdischen Menschen aus dem deutschen Geschäfts- und Berufsleben während des Nationalsozialismus, die wegen des rassistischen Gedankenguts im Wort mit Anführungsstrichen geführt wird.
Den Auftrag zur Studie erteilte die Gemeinnützige Hertie-Stiftung, mitfinanziert und unterstützt wurde sie von der Karg-Stiftung. Die Ergebnisse wurden im Rahmen einer Buchvorstellung am 5. Dezember im Jüdischen Museum in Frankfurt vorgestellt. Seit dem 6. Dezember ist die Studie im Buchhandel erhältlich. Mehr Informationen zur Veranstaltung und zu den Studienergebnissen finden Sie auf den Webseiten der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung und der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte.
Ergebnisse der Studie
Die Studienergebnisse belegen mit vielen neuen Details, wie die jüdische Familie des Konzerns Herman Tietz von der nationalsozialistischen Regierung durch ein Bankenkonsortium genötigt wurde, ihr eigenes Unternehmen zu verlassen. Die Autoren sprechen von der „größten Arisierungen der Anfangsjahre des NS-Regimes“. Davon profitierte vor allem der Geschäftsführer Georg Karg, der als Zweiterwerber den Hertie Warenhauskonzern der Nachkriegszeit führte und mit seinem unternehmerischen Handeln die Grundlage für die später gegründete Gemeinnützige Hertie-Stiftung legte.
Die von Georg Karg und seinen Nachfahren gegründete Stiftung, ist heute eine der größten unternehmerisch ungebundenen Stiftungen, deren Arbeit sich auf zwei Leitthemen konzentriert: das Gehirn erforschen und die Demokratie stärken. 2003 gründete die Gemeinnützige Hertie-Stiftung die internationale Hertie School in Berlin.
Die Geschichte als Mahnung und Erinnerung
„Die Studie liefert eine wissenschaftlich fundierte Grundlage zur Aufarbeitung der Geschichte der Warenhauskette Hermann Tietz während der NS-Zeit. Die Studienergebnisse sind Mahnung und Erinnerung zugleich, die Geschichte von Hermann Tietz, seiner Familie und jüdischen Geschäftspartner:innen wach zu halten. Als Hochschule ist es uns ein besonderes Anliegen, die unternehmerische Leistung der jüdischen Inhaberfamilie, die erschütternden Details ihrer Enteignung und Vertreibung, und die daraus für uns erwachsenen Verantwortung zu vermitteln und aktiv in unser universitäres Leben einzubinden“, so Cornelia Woll, Präsidentin der Hertie School.
Frank-Jürgen Weise, Vorstandsvorsitzender der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung: „Die Gemeinnützige Hertie-Stiftung ist aus dem unternehmerischen Erfolg in der Nachkriegszeit entstanden, die Grundlagen dafür hat Georg Karg aber früher geschaffen. Deshalb gehört zu unserer Verantwortung nicht nur die Aufarbeitung und Veröffentlichung dieser Erkenntnisse, sondern auch die Anerkennung des Unrechts, das der Familie Tietz widerfahren ist, sowie das Bewahren ihres Andenkens. Wir werden mit den Ergebnissen offen und transparent umgehen und als Demokratiestiftung unser Erbe wie bisher dazu nutzen, den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland zu fördern und Antisemitismus zu bekämpfen.”
Mehrere Exemplare des Buches werden den Studierenden der Hertie School in der Hochschulbibliothek in Kürze zur Verfügung gestellt. Dazu wird die Hertie School gemeinsam mit den Autoren der Studie, der Präsidentin der Hertie School, Cornelia Woll, sowie Ruth Ditlmann, Professorin für Psychologie und Public Policy an der Hertie School und Vertreter:innen der Her.Tietz Initiative die Studienergebnisse in einer englischsprachigen, öffentlichen Veranstaltung am 29. Februar 2024 diskutieren.
Über die Her.Tietz-Initiative
Die Studierenden- und Alumni-Initiative Her.Tietz setzt sich für eine transparente Erforschung und Aufarbeitung der Geschichte des jüdischen Kaufhauses Hermann Tietz ein, einschließlich der Verbindung zur heutigen Gemeinnützigen Hertie-Stiftung und Hertie School. Sie wird von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft und Humanity in Action gefördert.
Über die Autoren
Prof. Johannes Bähr studierte Geschichte und Politikwissenschaft in Freiburg i. Br. und München. Er wurde 1986 zum Dr. phil. promoviert und habilitierte 1998 an der Freien Universität Berlin. Heute lehrt er als apl. Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Prof. Ingo Köhler studierte Geschichte und Literaturwissenschaft in Bielefeld. Er promovierte 2003 zum Dr. phil. an der Ruhr-Universität Bochum und wurde 2012 an der Georg-August-Universität Göttingen habilitiert. Seit 2021 ist er Geschäftsführer des Hessischen Wirtschaftsarchivs in Darmstadt und lehrt als apl. Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte.