
Eine Laudation von Helmut Anheier auf den Handelsblatt 2015 „Menschen des Jahres“.
Zum dritten Mal tagte an der Hertie School die Handelsblatt-Jury „Menschen des Jahres“. Helmut Anheier erklärt, warum 2015 Barack Obama gewählt wurde: Mit Entschlossenheit und politischer Ausdauer habe der US-Präsident innenpolitische Widerstände überwunden und außenpolitische Erfolge erzielt.
“Yes, we can!” – In der Wahlnacht am 4. November 2008 feierten unzählige US-Bürger den frisch gewählten 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Auch Europa fieberte seiner ersten Amtszeit mit großer Hoffnung und noch größeren Erwartungen entgegen. 85 Prozent der Deutschen hätten ihn damals gern selbst gewählt, auch, weil sie sich einen Bruch mit der unliebsamen Politik der Bush-Regierung wünschten. Vorschusslorbeeren gab es reichlich; nach einem knappen Jahr im Amt wurde Präsident Obama sogar – zu früh und letztlich unzeitig – mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Im Schatten der anhaltenden Finanzkrise und der außenpolitischen Malaise der Post-Bush-Ära machte sich jedoch bald Katerstimmung breit. Reformen stießen auf Widerstand. Innenpolitische Versprechen zerbrachen auf dem harten Boden der Tatsachen und auf der internationalen Ebene wollte kaum etwas gelingen. Dann aber war die Wiederwahl 2012 leichter als gedacht erreicht, dank eines schwachen Herausforderers und einer doch verworren agierenden Republikanischen Partei. Nachdem jedoch bei den Zwischenwahlen im November 2014 die Republikaner nicht nur ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus weiter ausbauten, sondern auch den Senat für sich gewinnen konnten, sahen Kritiker Barack Obama am Ende. Allzugern präsentierte man ihn als handlungsunfähigen „lame duck president“.
Dass Todgesagte tatsächlich länger leben, machte Präsident Obama 2015 zunehmend deutlich. Sein Durchhaltevermögen und seine politische Hartnäckigkeit haben sich in diesem Jahr ausgezahlt.
Es war ein Jahr der gesellschaftspolitischen Debatte und auch der Fortschritte in den USA. Nach Ferguson und weiteren blutigen Gewalttaten gegen Schwarze und hielt der erste afroamerikanische Präsident in der Rassismus-Debatte nicht länger zurück: „Ich bin sehr stolz, dass meine Präsidentschaft helfen kann, Amerika gegen rassistische Ungerechtigkeit zu mobilisieren,“ proklamierte er, und seine kraftvolle Trauerrede nach der Ermordung von neun Afroamerikanern in Charleston bewegte die Nation. Am gleichen Tag übrigens legalisierte das amerikanische Verfassungsgericht die gleichgeschlechtliche Ehe landesweit. Bereits seit Beginn seiner ersten Regierungszeit hatte sich Obama kontinuierlich für dieses Ziel eingesetzt und freute sich nun über einen „Sieg für ganz Amerika“.
Das Verfassungsgericht unterstütze auch einen weiteres zentrales Projekt der Obama-Administration, welches weit in die erste Amtszeit zurückreicht: „Obamacare“. Im Mai bestätigte das Gericht die Rechtmäßigkeit der Gesundheitsreform, die nach einem fast desaströsen Fehlstart und gegen den massiven Widerstand der Republikaner nun doch noch eine Erfolgsgeschichte zu werden scheint. Seit Einführung der Reform haben zehn Millionen mehr Menschen Zugang zu einer bezahlbaren medizinischen Grundversorgung. Der Anteil der Menschen ohne Krankenversicherung an der US-Bevölkerung war noch nie so gering wie heute.
Auch in der Klimapolitik scheint Obamas Beharrlichkeit zum entscheidenden Faktor zu werden. Zwar sind die USA weiterhin nach China der größte Produzent klimaschädlicher Treibhausgase, jedoch fordert der Präsident die striktesten Klimaschutzregeln, die es in seinem Land je gegeben hat. Bei der UN-Klimakonferenz will er auch international eine lang erwartete und vakante Führungsrolle übernehmen: „Dieses Jahr in Paris muss die Welt endlich ein Abkommen erzielen, um den einen Planeten zu schützen, den wir haben, so lange wir das noch können“. Wenn auch der Ausgang der Konferenz noch ungewiss ist, so ist allein der ernsthafte Wille bemerkenswert, die USA aus ihrer jahrzehntelangen Rolle als klimapolitscher Bremser zu führen.
Weitere – vielleicht sogar historische – Erfolge erzielte Obama auf der internationalen Bühne. Trotz sehr kritischer Stimmen im In- und Ausland trieb er in zähen Verhandlungen ein wegweisendes Atomabkommen mit dem Iran voran –in guter Zusammenarbeit mit Europa. Nach der Devise Kooperation statt Konfrontation beendete er die politische Isolation Kubas mit der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen im Juli dieses Jahres. Auch wenn der Weg zu einer Normalisierung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen noch lang ist, scheint die von Obama angestoßene Entwicklung unumkehrbar zu sein. Ausdauer bewies der US-Präsident auch in der internationalen Wirtschaftspolitik: Nach siebenjährigen Verhandlungen wurden im Oktober die Verhandlungen um das transpazifische Handelsabkommen erfolgreich abgeschlossen, ein wichtiger Wegweiser für die vertrackten TTIP-Verhandlungen.
Spätestens seit den Anschlägen von Paris wird Obamas Außenpolitik massiv in Frage gestellt. Man kritisiert sein Zögern, internationale Partner drängen ihn, härter in Syrien durchzugreifen. Laut einer CNN-Umfrage werfen ihm zwei Drittel der Amerikaner vor, keine wirkliche Strategie gegen den IS zu haben. Es ist zu früh, um hier Bilanz zu ziehen. Allerdings sollten Kritiker im Auge behalten, dass Bushs Invasion und die nachfolgende Besetzung des Irak von 2003 bis 2011 einen langen und dunklen Schatten auf die amerikanische Außenpolitik werfen, eine Hypothek für jeden Nachfolger im Präsidentenamt.
Obama startet in sein achtes und letztes Amtsjahr. Er wird die tiefe Spaltung seines Landes in zwei politische Lager nicht überwinden können. Möglicherweise aber werden wir weitere Erfolge sehen. Ein Durchbruch gegen die Waffenlobby – auch gerade jetzt nach San Berardino? Ein nachhaltiges Konzept beim Thema Einwanderung? Eine tragfähige internationale Koalition gegen den Terror? Selbst wenn manches nicht mehr gelingt – das Jahr 2015 hat uns Hinweise auf Barack Obamas politisches Erbe gegeben: sein unerschütterliches Engagement für eine vorausschauende Innenpolitik und seine diplomatische Durchsetzungskraft in der Außenpolitik. „Yes, he can“– sometimes.
Dieser Text erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des Handelsblatt am 11. Dezember.
Über den Autor
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Helmut K. Anheier, Senior Professor of Sociology, ehem. Präsident